Im Detail
Nach der deutschen Besetzung Estlands im Sommer 1941 wurde auch hier die jüdische Minderheit verfolgt. Nachdem mindestens 955 Juden [1] bits Ende 1941 durch Angehörige der Einsatzgruppe A der SS und estnische Helfer erschossen wurden, erklärte die SS das Land für »judenfrei«.
Am 5. September 1942 wurden in den Dünen von Kalevi-Liiva hunderte Juden, darunter auch Kinder, aus dem Ghetto Theresienstadt (RSHA Transport DA 404 mit 1002 Menschen) [2] von estnischen Polizisten erschossen. Am 30. September folgte ein weiterer Transport von Juden aus Frankfurt am Main und Berlin (RSHA Transport DA 406 mit 1049 Menschen)[3]. Insgesamt 2051 jüdische Häftlinge wurden in das bei Kalevi-Liiva liegende, neu gegründete Arbeitslager Jägala geschickt, aber ca 1600 von ihnen wurden gleich am Ankunftstag ermordet. Nur 74 der im Lager Jägala angekommenen Juden überlebte den Krieg.[4] Zusammen mit den später ermordeten Juden und Zigeunern wurden in Kalevi-Liiva mit Beteiligung des Lagerpersonals von Jägala ca 1800 bis 2000 Personen hingerichtet [5].
Die Mordstätte wurde erst 1960/1961 durch einen Schauprozess gegen die Kriegsverbrecher [6] in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht. Als die sowjetischen Behörden 1960 ein erstes Denkmal errichteten, liefen die gerichtlichen Untersuchungen noch. In der Sowjetunion wurde nicht erwähnt, dass die Opfer jüdisch waren. Nach der Erlangung der Unabhängigkeit Estlands wurde 1995/96 auf Initiative der Jüdischen Gemeinde in Estland ein neues Denkmal eingeweiht. Am 10. Mai 2002 wurde es durch eine weitere Gedenktafel mit der Inschrift »Siin mõrvati 6.000 Tšehhi, Poola ja Saksama juuti 1942-1943 6.000 Jews from Czechoslovakia, Poland and Germany were murdered here« und Informationstafeln ergänzt. Dieser Text basiert allerdings auf sowjetischer Propaganda und ist wissenschaftlich nicht bestätigt.
[1] Salo, Vello. Eesti Vabariigis Saksa okupatsiooni (1941-44) ajal hukkunud juudid eja.pri.ee/history/Holocaust/Holo.pdf
[2] Transport Be , Train Da 404 from Theresienstadt, Ghetto, Czechoslovakia to Raasiku, Harjumaa, Estonia on 01/09/1942. http://db.yadvashem.org/deportation/transportDetails.html?language=en&itemId=5091974
[3] Birn, Die Sicherheitspolizei in Estland 1941-1944: eine Studie zur Kollaboration im Osten, S. 172;
Kingreen, Monica, Scheffler Wolfgang. Die Deportationen nach Raasiku bei Reval. In: Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden. Bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, Band II, K G Saur, München, 2003, Ss. 865–914.
[4] M. Kingreen, W. Scheffler. S. 866.
[5] Maripuu, Meelis. Эстония. Илья Альтман. Холокост на территории СССР. Энциклопедия. (1115−1119). Москва: ROSSPEN, Российская политическая энциклопедия, S. 1118.
[6] Maripuu, Meelis. Cold War Show Trials in Estonia: Justice and Propaganda in the Balance. / In: Tõnu Tannber. Behind the Iron Curtain : Soviet Estonia in the era of the Cold War, Frankfurt am Main : Peter Lang Edition, [2015], Ss 139-196.
Geschichte
Sommer 1941
Deutsche Besetzung Estlands, Verfolgung der jüdischen Minderheit.
5.-30. September 1942
Ermordung von über 1.000 Juden aus dem Ghetto Theresienstadt durch estnische Polizisten; insgesamt werden mindestens 1.600 Juden aus Tschechien und Deutschland in Kalevi-Liiva ermordet.
1961
Die Mordstätte erhalt durch einen Kriegsverbrecherprozess neue öffentliche Beachtung.
1964/65
Errichtung eines ersten Denkmals durch sowjetische Behörden.
1995/96
Nach der Erlangung der Unabhängigkeit Estlands wird auf Initiative der Jüdischen Gemeinde in Estland ein neues Denkmal eingeweiht.
10. Mai 2004
Ergänzung durch eine weitere Gedenktafel und Informationstafeln; Finanzierung durch die Botschaften Deutschlands, Polens und Tschechiens.